Die letzte Wolfsplage in Recke
© Text u. Fotos: Felix Büscher
Wenn wir heutzutage über Wölfe sprechen, denken wir zunächst an dunkle Wälder mit großen Mooren und Seen. Aber auch über die Lage der aktuellen Wolfsvorkommen in Deutschland, mit den oft überzogenen, hitzigen Diskussionen darüber, ob dieses in vielen Sagen und Geschichten beschriebene scheue Raubtier, wieder in Teilen unseres Landes hingehört oder nicht. Dagegen kommt heute vielen gar nicht mehr in den Sinn, dass es vor langer Zeit selbstverständlich war, mit Wölfen zusammen zu leben. Solange die „Untiere“ nicht in allernächster Nähe der Menschen ihr Dasein fristeten, war es gut und niemand kümmerte sich darum.
Im Jahr 1613 durchstreiften mehrere Wölfe die Gegend um Recke. Dabei kamen sie den Menschen sehr nah.
In den Erzählungen hierzulande berichteten die Menschen über Nächte, in denen das Vieh nachts im Stall vor Angst „bebte“, wenn es das Heulen der Wölfe hörte. So beschrieb es damals der Recker Franz Niessing in einem Aufsatz über die letzte Wolfsplage in Recke. Dort heißt es weiter, dass es im Winter des Jahres 1613 eine große Wolfsplage in weiten Teilen des Landes gegeben haben muss. Eine Wolfsplage gab es früher immer mal wieder. Manchmal war sie so schlimm, dass die Bauern ihr Vieh nicht nach draußen lassen konnten. Man tat alles, um sich die Wölfe „vön´n Liewe te haulen“ (vom Leib zu halten). Eines Tages hatte der alte Limburg, der seinerzeit Hauptjäger in der Recker Gegend war, ein Rudel von 5 Wölfen gesehen. Die Jagd auf Wildschweine, Hirsche und Raubtiere genehmigte der damalige regierende Herzog des Landes, Albrecht von Österiek.
Seit dem Jahr 2000 leben wieder Wölfe in Deutschland, nachdem sie fast 150 Jahre hierzulande ausgerottet waren. Stand 2017 sind es in Deutschland wieder ca. 60 Rudel.
Bauer Hermeyer saß eines Abends zusammen mit dem „Dienstvolk“ am warmen Ofen. Es war zur Fastenzeit und draußen herrschte der kalte Winter mit strengem Frost. Die richtige Zeit um Garn zu spinnen und die eine oder andere Geschichte zu erzählen. Die Kinder legten dicke Bohnen auf ein Blech und rösteten sie. Daran hatten sie ihren Spaß, denn es war eine Delikatesse zu der Zeit. So war es in der warmen Stube recht gemütlich, als die Sonne bereits lange untergegangen und nun die Zeit der Nachtruhe gekommen war. „Häört es, wat kümp daor no an (hört mal, was kommt da noch an)“, wunderte sich Bauer Hermeyer plötzlich. Als die Tür aufging kamen 3 Gestalten in die Stube, voran der alte Limburg. Sie hatten große Knüppel, Äxte und „Buskenmesser“ bei sich.
Nach einer launischen Begrüßung, bot Bauer Hermeyer den Gästen an sich zu setzen und sprach: „Vertellt es, wat et denn giff, dat chi mit dree Mann üm düsse Tiet herümmelaupt (erzählt mal, was es denn gibt, dass ihr mit drei Mann um diese Zeit herumlauft).“ Schnell kamen sie zum Thema. Man habe 2 Wölfe gefangen und getötet. Am frühen Morgen wolle man mit allen Bauern und deren Knechten, sowie den Heuerleuten los, um auch die letzten Wölfe zu erwischen. Bis jetzt seien 30 Mann dabei und gleich nach der Messe soll es losgehen.
Wölfe werden in der Wildnis ca.6 - 10 Jahre alt. Die anpassungsfähigen Raubtiere leben in unterschiedlichsten Gegenden der Welt - vom hohen Norden bis nach Zentralasien. Vor dem Menschen war der Wolf das weitverbreiteste Säugetier weltweit!
Noch hatte Bauer Hermeyer Zweifel, ob man ihn nicht einen Bären aufbinden wollte. Dann zeigte ihm der alte Limburg die Felle der beiden getöteten Wölfe und berichtete, dass er zusammen mit dem alten Püttemeier am Barrenkamp einen Tag vorher zwei Fallen aufgestellt habe. Außerdem seien noch zwei Wolfslöcher in der Nähe von Weekers Haus ausgehoben worden. Am Morgen hätte dann ein großer, grauer Wolf im Loch festgesessen und sei vom Ollrieken Knecht erschlagen worden. Der andere Wolf wäre in eine der Fallen gegangen. Stolz beschrieb daraufhin der Jäger Limburg die Falle. „Wir haben eine Schweinekiste aufgestellt und darin ein Kalb gesteckt“, erzählt er. Dahinter habe man eine leere Kiste aufgestellt. Den „Schüwer“ (Schieber) habe man hochgezogen und er wäre heruntergefallen, wenn der Knüppel, den man darunter angebracht habe, zur Seite geschoben würde. „Dat is ne ganz eenfache Falle (das ist eine ganz einfache Falle)“, erklärt Limburg noch, bevor die Einzelheiten der Jagd am nächsten Tag ausgiebig besprochen wurden.
Nachdem der Besuch gegangen war, sprach der Bauer noch das „Pestgebet“. Man hatte es nicht vergessen, dass die Pest auch in Recke gewütet hatte und 75 Prozent der Recker Einwohner daran starben. Danach krochen sie alle in ihren „Durk“ und die Kinder träumten von den wilden Wölfen in Recke.
Im Mittelalter gab es oft Wolfsplagen. Die Tiere wurden angezogen von Krankheiten wie der Pest, aber auch von Hungersnöten und insbesondere durch die grausamen Kriege seinerzeit. Wölfe wurden zum Sinnbild für all das Böse schlechthin. Sehr oft lagen allerdings Wahrheit und Dichtung nahe beieinander.
Am nächsten frühen Morgen waren bereits der alte Jäger Limburg, Bauer Püttemeier, Kitte und Neyer zusammen mit den anderen Jägern auf den Beinen. In der Nacht hatte es geschneit und auf der Wiese konnte man genau die Spuren sehen, wohin sie führten. Die gesamte Wolfsfamilie saß rechts von der Recker Aa in den „Blüsen“ (Gebüsch), von Bauer Verfarth bis zum Heuerhaus von Krieger. Aber die aufgestellten Fallen waren alle leer. Um 8 Uhr traf man sich in der Kirche und so wie die Messe vorbei war, ging es los.
43 Mann, bewaffnet mit dicken Eichenknüppeln, Mistforken und anderen „Waffen“, zogen zum Buschwerk und umstellten es. Bauer Hermeyer und der alte Limburg übernahmen das Kommando. Die Treibergruppen wagten sich von allen Seiten und immer nur zu viert in das dichte Gebüsch. Dort machten sie ein Mordsspektakel. Gegen 10 Uhr versuchte ein Wolf bei Bauer Wenker auszubrechen. Er bekam aber mit dem Eichenknüppel einen ordentlichen Schlag verpasst und rannte zurück ins Gebüsch. In der Nähe von Bauer Verfarth hörte man dann plötzlich ein fürchterliches Spektakel. Auch hier versuchte ein Wolf durch die Reihen der Treiber zu entkommen. Er wurde von den Jägern und Bauern mit Knüppeln so derbe geschlagen, dass er tags in der Nähe der Familie Heeger tot aufgefunden wurde.
Nach einer Studie des Bundesamtes für Naturschutz gibt es nahezu in jedem Bundesland geeignete Gebiete in denen sich „Canis lupus“ wieder zu Hause fühlen kann.
Ein weiterer Wolf wollte fliehen, fiel aber in ein Wolfsloch. Dort versetzte Lenmöllers Knecht dem Tier einen tödlichen Schlag mit einem „Bengel“ vor dem Kopf. Der letzte verbliebene „Recker Wolf“ machte es den Jägern und Bauern schwer. Mehr als 2 Stunden brauchten sie, um auch dieses Raubtier zu erwischen. Nach mehreren Ausbruchversuchen hatte der arme Wolf so viel Prügel bezogen, dass er bloß noch kriechen konnte. Der alte Bauer Püttemeier gab ihm schließlich den Rest.
Das alles geschah in Recke am „stillen Freitag“ im Jahre 1613. Von der Zeit an bis zum heutigen Tag hieß der Kamp, wo der letzte Wolf in Recke erlegt wurde, „Wulferkamp“. Seit diesen Tagen ist kein Wolf mehr in der Recker Gemeinde gewesen – oder doch?
Keine Angst vor dem Wolf, oder doch? Ein Wolf hört und sieht gut und ist sehr scheu. Der „wilde“ Wolf fürchtet den Menschen und geht ihm aus dem Wege. Gefährlich können die Raubtiere werden, wenn sie angefüttert wurden und sich an den Menschen gewöhnt, oder gelernt haben, wie leicht es ist, ungesicherte Weidetiere zu erlegen.